Wie es bei mir so oft im Leben ist, brauche ich mindestens
zwei Anläufe, bis es so richtig klappt. So war es beim Studium, mit dem Mann
und auch mit Dresden und diesem ganz speziellen Stadtviertel Dresden-Neustadt.
Als ich 2000 nach Dresden kam um Medieninformatik (haha) zu studieren,
entschied ich mich bewusst, nicht in die Neustadt zu ziehen: streberhaft, wie
ich war, wollte ich nicht so viel feiern (haha). Nachdem sich das mit der
Medieninformatik erledigt hatte, bestand kein Grund mehr in Johannstadt zu
wohnen und ich lebte 4 (in Zahlen: vier) Jahre in einer (1!) Wohnung in
Dresden-Löbtau. Erst nach einem Intermezzo in Hamburg zog ich 2005 endlich in
meine erste Wohnung in Dresden-Neustadt. Und hey, das war das feierträchtigste
Jahr in meinem Leben (so far, haha). Ich hab mich voll verknallt in dieses
Viertel, das eigentlich ja aus weiteren „Untervierteln“ besteht und wenn ich
genau wäre, müsste es sich hier ausschließlich um die „Äußere Neustadt“ handeln.
Im Kern ist damit jener Teil zwischen Königsbrücker, Bautzner, Bischofsweg und
Prießnitzstraße gemeint. Vor zwanzig Jahren die Bruchbrude Dresden, weil
unsaniertes Altbauviertel, heute modern und fast komplett durchsanierter
schicker Altbau. (Gentrifizierung, ick hör Dir trapsen).
Die Neustadt, das „Szeneviertel“. Kneipen und
Krabbelgruppen. Bevölkert von Studenten, Künstlern und Lebemenschen. Neustadt,
geburtenreichster Stadtteil Deutschlands, angeblich. Tagsüber von Kinderwagen
und Laufrädern dominiert, fällt nachts das Partyvolk ein. Vom Punk bis zum Proll,
von Hipstern und Hiphoppern ist alles dabei. Hier kann wirklich jeder nach
seiner Facon glücklich werden oder nicht. Essen, Trinken, Party in Hülle und
Fülle. Dazu kleine Lädchen, von der Shisha-Bude über die handgenähten
Kinderklamotten bis zum „Eisen-Feustel“, wo man die Schrauben noch einzeln
kaufen kann. Die Lage in der Stadt ist unschlagbar: In 10 Minuten steht man
mitten im Wald in der Dresdner Heide oder genauso schnell an der
Prießnitzmündung in die Elbe. Und falls einen nach großen Shoppingcentern oder
barocker Hochkultur gelüstet, erreicht man die Innenstadt mit der Straßenbahn
in 15 Minuten.
Wohnte ich zunächst auf einer Nebenstraße der Königsbrücker, verschlug es mich nach einem Auslandsaufenthalt auf die Alaunstraße erst oben,
später weiter unten. Sie ist das „Einfallstor“ vom Albertplatz in das Viertel
und wird nördlich vom Alaunpark abgeschlossen. Alleine auf dieser Straße habe
ich in Hochzeiten 5 italienische Restaurants gezählt. Außerdem kann man hier
mehrmals asiatisch, zweimal indisch, japanisch, vietnamesisch,
vietnamesisch-französisch, mexikanisch, amerikanisch, spanisch, afghanisch
sowie „dänisch“ (Hot Dogs) und
„türkisch“ (Döner) essen. Der
neuste Trend sind jedoch einige Restaurants mit neuer deutscher Küche. Die Ost-West-Achse ist die Louisenstraße, hier findet man kleine Modelabels, kleine Buchläden, viele Blumenläden und Shisha-Bars, das Projekttheater, die Feuerwehr, das Hebammenhaus.
Während die Neustadt westlich von der Alaunstraße
kommerzieller, touristischer und Mainstreamparty-orientierter ist, wird es
östlich davon eher alternativer. Kleine Lädchen bieten handgearbeitete Kleinode
an, kleine Galerien laden zum Verweilen ein. Zum Teil gibt es noch unsanierte
Häuser, die den Charme der 90er versprühen, als sich das Viertel seinen
alternativen und unabhänigen Ruf machte. Noch heute feiert das Viertel einmal
im Jahr die „Bunte Republik Neustadt“. Hier ist das eben genannte Gefälle
besonders zu bemerken: Während auf der Alaunstraße und Görlitzer die
kommerziellen Buden zunehmen, und die Technomusik vorherrscht, lebt der Geist
des nachbarschaftlichen Miteinander Feiern rund um die Martin-Luther-Kirche und
auf der Talstraße weiter.
Im Alaunpark, dem grünen Herz des Viertels, ist immer was los, egal welches Wetter oder welche Jahreszeit. Hier rotten sich Punks und Partyvolk zusammen, um in die Stadt einzufallen, hier treffen sich fußball-, volleyball- oder kubbspielende Menschen, es werden Kindergeburtstage gefeiert und Slackliner balancieren zwischen den Bäumen. Und an der Softeis-Bude ist fast immer ne Schlange.
Als ich nach dem besagten ersten Jahr in der Neustadt im
Ausland die Generation Praktikum praktisch auslebte, hatte ich zum ersten Mal
in meinem Leben wirklich Heimweh. Heimweh nach Dresden und vor allem Heimweh
nach der Dresdner Neustadt. Der american way of life führte mir vor Augen, was
ich so an diesem Stadtviertel liebte: Alles um die Ecke zu haben: Kneipe,
Bäcker, Lebensmittelladen, Restaurants; vielfältige Lebstile; Leben auf der Straße;
zu Fuß gehen können; offen für Neues zu sein; kleine, ungebundene Läden und
Kneipen. Und so bin ich dankbar, dass ich auch jetzt wieder seit fast einem
Jahr in Dresden Neustadt leben darf. Und oft huscht mir ein dankbares Grinsen
übers Gesicht, wenn ich auf dem Rad das Viertel durchkreuze oder einfach den
Kinderwagen eine Runde durch den Alaunpark schiebe. Und wieder entdecke ich
eine ganz neue Seite an dem Viertel, nun selber zu den vielen Schwangeren und
Müttern gehörend, die das Bild prägen.
PS: Mir ist klar, dass ich ein bissl rosarot zeichne. Ja, es gibt vielzuviel Hundekacke und ein Müllproblem im Alaunpark, es gibt Lärm und Dreck und drohende Kommerzialisierung und Verkettung.