Sonntag, November 25, 2012

Der Rest von Hamburg: Dresden-Neustadt

Ich habe bereits hier was zu Dresden (Dresden Serie 1, 2, 3, 4, Exkurs) und auch recht aktuell zur Neustadt geschrieben, aber der Herr Buddenbohm schreibt und fragt so nett und viele andere auch. Also folge ich mal dem Blogger-Herdentrieb und schließe mich hier mit der Dresdner Neustadt an. 


Wie es bei mir so oft im Leben ist, brauche ich mindestens zwei Anläufe, bis es so richtig klappt. So war es beim Studium, mit dem Mann und auch mit Dresden und diesem ganz speziellen Stadtviertel Dresden-Neustadt. Als ich 2000 nach Dresden kam um Medieninformatik (haha) zu studieren, entschied ich mich bewusst, nicht in die Neustadt zu ziehen: streberhaft, wie ich war, wollte ich nicht so viel feiern (haha). Nachdem sich das mit der Medieninformatik erledigt hatte, bestand kein Grund mehr in Johannstadt zu wohnen und ich lebte 4 (in Zahlen: vier) Jahre in einer (1!) Wohnung in Dresden-Löbtau. Erst nach einem Intermezzo in Hamburg zog ich 2005 endlich in meine erste Wohnung in Dresden-Neustadt. Und hey, das war das feierträchtigste Jahr in meinem Leben (so far, haha). Ich hab mich voll verknallt in dieses Viertel, das eigentlich ja aus weiteren „Untervierteln“ besteht und wenn ich genau wäre, müsste es sich hier ausschließlich um die „Äußere Neustadt“ handeln. Im Kern ist damit jener Teil zwischen Königsbrücker, Bautzner, Bischofsweg und Prießnitzstraße gemeint. Vor zwanzig Jahren die Bruchbrude Dresden, weil unsaniertes Altbauviertel, heute modern und fast komplett durchsanierter schicker Altbau. (Gentrifizierung, ick hör Dir trapsen).

Die Neustadt, das „Szeneviertel“. Kneipen und Krabbelgruppen. Bevölkert von Studenten, Künstlern und Lebemenschen. Neustadt, geburtenreichster Stadtteil Deutschlands, angeblich. Tagsüber von Kinderwagen und Laufrädern dominiert, fällt nachts das Partyvolk ein. Vom Punk bis zum Proll, von Hipstern und Hiphoppern ist alles dabei. Hier kann wirklich jeder nach seiner Facon glücklich werden oder nicht. Essen, Trinken, Party in Hülle und Fülle. Dazu kleine Lädchen, von der Shisha-Bude über die handgenähten Kinderklamotten bis zum „Eisen-Feustel“, wo man die Schrauben noch einzeln kaufen kann. Die Lage in der Stadt ist unschlagbar: In 10 Minuten steht man mitten im Wald in der Dresdner Heide oder genauso schnell an der Prießnitzmündung in die Elbe. Und falls einen nach großen Shoppingcentern oder barocker Hochkultur gelüstet, erreicht man die Innenstadt mit der Straßenbahn in 15 Minuten.

Wohnte ich zunächst auf einer Nebenstraße der Königsbrücker, verschlug es mich nach einem Auslandsaufenthalt auf die Alaunstraße erst oben, später weiter unten. Sie ist das „Einfallstor“ vom Albertplatz in das Viertel und wird nördlich vom Alaunpark abgeschlossen. Alleine auf dieser Straße habe ich in Hochzeiten 5 italienische Restaurants gezählt. Außerdem kann man hier mehrmals asiatisch, zweimal indisch, japanisch, vietnamesisch, vietnamesisch-französisch, mexikanisch, amerikanisch, spanisch, afghanisch sowie „dänisch“ (Hot Dogs)  und „türkisch“ (Döner) essen.  Der neuste Trend sind jedoch einige Restaurants mit neuer deutscher Küche. Die Ost-West-Achse ist die Louisenstraße, hier findet man kleine Modelabels, kleine Buchläden, viele Blumenläden und Shisha-Bars, das Projekttheater, die Feuerwehr, das Hebammenhaus. 

Während die Neustadt westlich von der Alaunstraße kommerzieller, touristischer und Mainstreamparty-orientierter ist, wird es östlich davon eher alternativer. Kleine Lädchen bieten handgearbeitete Kleinode an, kleine Galerien laden zum Verweilen ein. Zum Teil gibt es noch unsanierte Häuser, die den Charme der 90er versprühen, als sich das Viertel seinen alternativen und unabhänigen Ruf machte. Noch heute feiert das Viertel einmal im Jahr die „Bunte Republik Neustadt“. Hier ist das eben genannte Gefälle besonders zu bemerken: Während auf der Alaunstraße und Görlitzer die kommerziellen Buden zunehmen, und die Technomusik vorherrscht, lebt der Geist des nachbarschaftlichen Miteinander Feiern rund um die Martin-Luther-Kirche und auf der Talstraße weiter.

Im Alaunpark, dem grünen Herz des Viertels, ist immer was los, egal welches Wetter oder welche Jahreszeit. Hier rotten sich Punks und Partyvolk zusammen, um in die Stadt einzufallen, hier treffen sich fußball-, volleyball- oder kubbspielende Menschen, es werden Kindergeburtstage gefeiert und Slackliner balancieren zwischen den Bäumen. Und an der Softeis-Bude ist fast immer ne Schlange. 


Als ich nach dem besagten ersten Jahr in der Neustadt im Ausland die Generation Praktikum praktisch auslebte, hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich Heimweh. Heimweh nach Dresden und vor allem Heimweh nach der Dresdner Neustadt. Der american way of life führte mir vor Augen, was ich so an diesem Stadtviertel liebte: Alles um die Ecke zu haben: Kneipe, Bäcker, Lebensmittelladen, Restaurants; vielfältige Lebstile; Leben auf der Straße; zu Fuß gehen können; offen für Neues zu sein; kleine, ungebundene Läden und Kneipen. Und so bin ich dankbar, dass ich auch jetzt wieder seit fast einem Jahr in Dresden Neustadt leben darf. Und oft huscht mir ein dankbares Grinsen übers Gesicht, wenn ich auf dem Rad das Viertel durchkreuze oder einfach den Kinderwagen eine Runde durch den Alaunpark schiebe. Und wieder entdecke ich eine ganz neue Seite an dem Viertel, nun selber zu den vielen Schwangeren und Müttern gehörend, die das Bild prägen.


PS: Mir ist klar, dass ich ein bissl rosarot zeichne. Ja, es gibt vielzuviel Hundekacke und ein Müllproblem im Alaunpark, es gibt Lärm und Dreck und drohende Kommerzialisierung und Verkettung.