Donnerstag, August 27, 2015

Blogger für Flüchtlinge.

Ich habe lange ignoriert, was da draußen, in den großen Städten, in unserem Land, im Osten, in meiner Herzensheimat passiert. Ich lebe in meiner kleinen Familienbubble in der norddeutschen Provinz. Schaue schon lange keine Nachrichten mehr, obwohl ich mich als durchaus politisch interessiert bezeichne. Selbst aus der regionalen Zeitung erfährt man wenig, was hier in der Gegend passiert. Aber jetzt kann ich, will ich nicht mehr ignorieren. Die vielen, vielen Menschen im Internet, die sich unter #bloggerfürflüchtlinge engagieren, haben mich echt aufgerüttelt. Am Anfang war dieser Artikel, mittlerweile viel verlinkt, der sich mit den Zuständen in Hamburg auseinandersetzt. Und gleichzeitig zeigt, das Hilfe gebraucht wird, von jedem, der helfen kann. Mir ist klar geworden, dass dies keine (allein) staatliche Aufgabe mehr sein kann, sondern die gesamte Gesellschaft gefragt ist. Jede_r von uns.

Da findet eine kleine Völkerwanderung statt, die wir nicht mehr ignorieren können. Dieser Artikel eines ehemaligen Asylrichters führt diesen Gedanken schön aus. Es ist die mangelnde historische, aber auch weltweite Perspektive, die ich manchmal so befremdlich finde. In Frieden und Sicherheit zu leben ist die Ausnahme, das Glück. Auch wenn wir das mittlerweile seit mehr als 60 Jahren tun, auch dank eines Gebildes namens Europäischer Union, ist es das nicht selbstverständlich, weder historisch noch global in der Jetztzeit gesehen.
Seit meinen Auslandsaufenthalten in den USA und in China weiß ich um das Privileg in diesem Teil der Welt leben zu dürfen. Mit fließend warmen Wasser, Nahrung im Überfluss, Krankenversicherung und einem geringen Risiko auf der Straße erschossen zu werden. Jetzt wird auch den Leuten, die nie unser Land verlassen haben vor Augen geführt, wie das Leben aussieht, wenn das Geburtslos weniger glücklich war. Dummerweise glauben aber diese Leute das braune Pack meistens, es sei ihr Verdienst,  dass sie hier leben dürfen.

Ich frage mich oft, wo all dieser Hass, dieser Neid, die Missgunst, diese Angst herkommen. Die zusammen mit Gewaltbereitschaft dazu führen, Menschenleben zu gefährden. Und zwar das Leben von Menschen, die erst eine, in den meisten Fällen lebensgefährliche Flucht hinter sich haben. Wo sind Menschlichkeit, Empathie und Respekt dieser Menschen auf der Strecke geblieben. Ein Hinweis ist auch vielleicht das, was in den letzten 25 Jahren auf demGebiet der neuen Bundesländer passiert ist. Verlierer sein ist scheiße, ja, fuck. Aber ist das wirklich ein Grund, eine Rechtfertigung, seine Wut an Schwächeren auszulassen? Ich finde nein, überhaupt nicht. Wie viel mehr dahinter steckt als Wut und „besorgte Bürger“, hat Sascha Lobo schön analysiert. Zusammen mit der Perspektive aus dem Völkerwanderungsartikel (s.o.) frag' ich mich, ob da nicht ein (Bürger-) Krieg auf uns zu kommt?

Bei all den furchtbaren Nachrichten von rassistisch motivierten Straftaten gegen Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte bin ich froh, dass es aus anderen Teilen Deutschland auch positivere Reaktionen gibt, wie dieser Artikel aus Passau zum Beispiel.

Und jetzt? Viel geredet. Aber ich möchte was tun. In unserer Provinzstadt scheint noch alles im Lot zu sein, es gibt (noch) keine Zeltlager und auch ansonsten nicht viel Info darüber, wie und wo man helfen kann. Da wir gerade dabei sind, die Wohnung meines verstorbenen Vaters auszumisten, hat mein Cousin sich schlau gemacht, wo man Dinge spenden kann. So war ich gestern zum ersten Mal in einem „Asylantenheim“, wie die Frau, die wir nachdem Weg fragten, mit dem passenden Unterton sagte. Wir haben Kleidung, Decken, Koffer und Taschen abgegeben. Es handelt sich um ein altes Kasernengebäude, das insgesamt einen „ordentlichen“ Eindruck machte: unzählige Kinderwagen im Eingang, Bobbycars und anderes Spielzeug lag herum, viele Fahrräder standen vor dem Haus. Ich hoffe, dass die Menschen da einigermaßen leben können. Außerdem werde ich versuchen, die Wohnung, die ich nun gerade geerbt habe, der Stadt zur Weitervermietung an Flüchtlinge anzubieten. Gerne möchte ich auch eine Patenschaft oder so was übernehmen, um den Menschen hier den Anfang leichter zu machen. Bei meinen – im Vergleich sehr harmlosen/ beruflich motivierten – Auslandaufenthalten war ich immer sehr froh, Einheimische zur Seite gestellt zu bekommen, die einen für die wichtigsten Sachen an die Hand nehmen. Ich werde mich mal schlau machen. 


Ich hoffe, dass wir alle, hier im Netz und da draußen im „wahren Leben“, gemeinsam zeigen können, dass wir die Mehrheit sind, dass wir laut sind und Menschenhass und -verachtung in unserem Land kein Platz haben.   

Edit: Upsi, ganz vergessen, ganz wichtig: Hier kann man sich über Blogger für Flüchtlinge informieren und handeln: http://www.blogger-fuer-fluechtlinge.de/